Virtual Photography

Zuletzt aktualisiert am 9. April 2024 12 Minuten

Vorbemerkung

Das Thema Virtual Photographyexternal link , oder auch In-Game oder kurz Game Photography finde ich als Fotograf derzeit ziemlich spannend. Dazu gekommen bin ich im Zuge der Corona-Pandemie. Die Möglichkeit zum Beispiel einfach Screenshots von einem Bildschirm / Film zu machen existiert ja schon lange, aber mit dem fortschreiten der Zeit und der Technik ist ein eigenständiges Genre entstanden. Da drängt sich natürlich sofort die Frage auf ob das überhaupt Fotografie ist, und ob man das überhaupt darf, weil es sich ja bei einem Computerspiel quasi um das Kunstwerkexternal link eines anderen handelt. Unter anderem darüber möchte ich im Folgenden ein wenig reflektieren.

KI in Computerspielen

Der heiße Scheiß sind ja im Moment KI-Systeme - zum Beispiel Text- oder Text-zu-Bild Generatoren , die für viel Wirbel unter den Fotografinnen und Fotografen sorgen. In Computerspielen ist KI schon lange Thema. Anfänglich ging es um das intelligente Verhalten der Nichtspieler-Charaktere (NPC), dazu kam dann unter anderem im Zuge der Open-World Spiele das automatisierte Erzeugen von glaubwürdigen Gelände und Stadt-Strukturen. Da werden die neuen Machine Learning Systeme sicherlich weiterhin einiges verändern.

Die Zukunft der Fotografie?

In der Produktfotografie ersetzt der virtuelle Raum schon jetzt häufig das Foto und Filmstudio. Durch VR Technikexternal link verschmelzen realer und virtueller Raum, in dem der eine in den anderen eingebunden wird. Immer leistungsfähigere Computer ermöglichen eine große Bandbreite von sehr realistisch aussehenden Darstellungen, bis hin zu sehr kreativen, phantastischen Auslegungen unserer Realität. Das beobachten wir täglich in Kino und Fernsehen — mehr in Filmen, als in den Werbepausen (denn niemand schaut Werbung — dabei feiert dieses Genre gerade dort, in der Produktfotografieexternal link (Bsp. Adobeexternal link ), große Erfolge. Egal wie wir das bewerten: Der virtuelle Raum ist bereits allgegenwärtig, und er erobert sich immer neue Spielwiesen.

Computerspiele – von vielen noch zu Unrecht als Kinderkram abgetan – eröffnen ganz eigene virtuelle Räume, und sie waren – und sind – Technologietreiber, Multimedia-Kunstwerke und Kulturgutexternal link . Im Gegensatz zu Filmen, die passiv konsumiert werden, ist man hier aktiv und gestaltet mit. Die Videospiel-Industrie hat sich von einer anfänglichen Nischeexternal link , mittlerweile zu einem Milliardenmarkt entwickelt, und so nebenbeiexternal link die Film- & Musikindustrie in die Tasche gesteckt.

Binary Voids No. 62 – No Mans Sky, Hello Games

Wohin geht die Reise? Da kann ich nur aus meiner Erfahrung, und meinem Wissen heraus spekulieren. Wenn ich mir Zukunfts-Prognosen aus der Gegenwart der 1950/60er Jahre anschaue, so erscheinen sie doch rückblickend meist eher naiv, und haben mit unserer Gegenwart wenig gemein. Ich versuche es trotzdem.

Also: Traditioneller Film und Computerspiel werden vielleicht zukünftig immer mehr zu einem interaktiven Erlebnis verschmelzen. Die Fotografie ist auf jeden Fall Teil dieses Wandels – Fotoapparate werden immer mehr zu Filmkameras, was ermöglicht mittels KI automatisch die besten Fotos aus dem Datenstrom zu extrahieren. Mit 3D-Vermessung und Raytracing werden ganze Räume erfasst, so das der fotografierte Raum nachträglich begangen werden kann, um zum Beispiel den besten Standpunkt für eine Fotografie finden, um dann erst das Bild zu machen. Zugegeben, das ist recht fiktionale Zukunftsmusik, und die Realität wird mit Sicherheit ganz anders, und noch viel phantastischer, als wir uns das heute vorstellen können. Sicher ist nur: Die Fotografie wird sich verändern. Die virtuelle Fotografie in Spielen liefert vielleicht heute schon erste Ansatzpunkte, wohin die Entwicklung auch für die traditionelle Fotografie gehen könnte.

Traditionell versus Virtuell

Virtuelle Fotografie empfinden die meisten traditionellen Fotografen meiner Erfahrung nach als provokant, und reagieren eher abweisend. Das ist die gewohnte Reaktion, wenn ich meine Serie zeige. Für viele ist das keine Fotografie, sondern eher Grafik und Illustration. Sie tun sich schwer, das als Fotografie wahr zu nehmen, und zu akzeptieren. Fotografie ist für diese Menschen ein realer Ort, der mit einer realen Kamera (inclusive realem Objektiv), durch einen realen Menschen aufgenommen wird, und im weitesten Sinne Realität / Umgebung abbildet. „Ja, aber….“

Computerspiele formen eine eigene (eigenwillige) Realität, die mit fotografischen Mitteln erforscht werden kann.

Fotografie unter anderem eine Kunst der Beobachtung. Es geht darum, etwas Interessantes an einem gewöhnlichen Ort zu finden … Fotografie hat wenig mit den Dingen zu tun, die wir sehen – und alles mit der Art, wie wir sie sehen - Elliott Erwitt

… und das ist imho unabhängig davon ob der Ort — das was ich wahrnehme (oder enger gefasst: sehe) — real oder virtuell ist. Fotografie ging schon immer über die reine Abbildung hinaus. Sie hat neben dem dezent irrigen Anspruch die Wirklichkeit ab zu bilden, schon immer genau das Gegenteil getan: Neue Welten erschaffen, und Sichtweisen und Interpretationen geliefert. Es geht schlicht erstmal nur darum das visuell ab zu bilden, was das Interesse des Fotografierenden weckt. Wenn es gut läuft, hat er ein spannendes Foto, erzählt eine Geschichte, und löst Assoziationen im Betrachter aus. Wie er letztlich zu dem Foto kommt, sollte dabei nebensächlich sein. Ich sehe da keinen Unterschied zur traditionellen Fotografie, und auch keine neuen Konfliktfelder.

So groß unterscheiden sich die virtuellen Fotos also gar nicht von den Bildern aus der realen Welt, wo sich die Leute inszenieren, denn auch das hat meist nur wenig bis gar nix mit „der Realität“ zu tun, auch wenn der ein oder andere sich das vielleicht wünscht. Fotografie ist ja auch immer eine Projektionsfläche. In der virtuellen Fotografie stellt sich die Frage gar nicht, ob das inszeniert ist, oder real. Es ist vollkommen klar: Hier ist alles fake und inszeniert. Es ist ein einziges großes Schauspiel, ein Puppentheater. In so fern kann man sich entspannt zurück lehnen, und die Show unbeschwert genießen, oder?

Die Frage würde ich mit ja und nein beantworten. Virtuelle Fotografie steht ja zB. im Verdacht, nur die Reproduktion einer fremden Inszenierung zu sein. Das wäre es ganz sicher, wenn man zum Beispiel aus einem Film einen Screenshot entnimmt. Das könnte man dann höchstens als „Found Footage“ künstlerisch verarbeiten (siehe zB. „Anaesthesia“ von Valentina Abenavoli oder Mark Wallinger “The Unconscious”). Virtuelle Welten enthalten zwar auch Filmmaterial in Form von Cut-Scenes, aber eben auch einen weit größeren interaktiven Anteil. Für viele virtuelle Fotografen sind deshalb diese CutScenes ein Tabu.

Eine Ursache für diese Ablehnung, und den Verdacht, könnte in der Erfahrung liegen. Der Spieler hat einen Bezug zur virtuellen Welt, der dem NichtSpieler fehlt – genauso wie Erfahrung (gern auch im doppeldeutigen Sinne): Er hat diese Welten nicht selbst bereist, und erlebt. Die reale Welt kennt – vereinfacht gesagt – jeder, und jeder kann aus dieser Erfahrung heraus für sich beurteilen, ob er eine Fotografie als gelungen betrachtet oder nicht. Außerdem lässt sich meiner Meinung nach dieser Verdacht auf die gesamte Fotografie ausweiten. Irgendwo ist alles vom Grundsatz her eine fremde Inszenierung, oder Teil einer fremden Inszenierung. Vom Individuum das ich portraitiere, über die Stadt, die ich als Fotograf ja auch nicht gebaut habe. Alles da draußen vor meinen Augen ist entweder von Menschen gebaute oder geformte Kulturlandschaft, oder vom „Zufall“ geformte Naturlandschaft. Die Kunst in der Fotografie ist doch, alles – all das was uns umgibt – als Bühne für die eigene Inszenierung und Interpretation zu betrachten, oder sich als Beobachter zu sehen, und die Dinge zu dokumentieren die man wahrnimmt. Beim virtuellen Raum ist das imho nicht anders. Virtuelle Fotografie ist im klassischen Sinne Reisefotografie, denn man ist letztlich immer auf einer Heldenreise (siehe auch Der Heros in tausend Gestalten ) unterwegs, und teilt am Ende seine Erlebnisse, Erfahrungen, und Erinnerungen mit den anderen Spielern.

Ich fotografiere im Sinne einer dokumentarischen „objektiven“ Fotografie allerdings nicht das Spiel, sondern ich Fotografie im Spiel – nutze also den dargebotenen virtuellen Raum, um meine eigenen Geschichten zu erzählen.

Virtuelle Fotografie macht ausserdem die Leidenschaft und den Aufwand auf neue, andere Weise sichtbar, die in die Erschaffung des Spiels gesteckt wurde. Wäre ich Spiele-Entwickler würde ich mich alleine darüber unglaublich freuen. Die Weltenbauer selbst fordern die Spieler mittlerweile regelrecht dazu auf ihre Welten, zu fotografieren und zu filmen, in dem sie entsprechende virtuelle Kameras ins Spiel einbauen. Das machen sie natürlich nicht uneigennützig – sie haben schlicht festgestellt, das sich die Spieler dann länger im Spiel aufhalten. Für die Publisher ist es in erster Linie ein Marketing-Instrument, denn das Spiel bleibt so ihm Gespräch.

Dabei gehen einige Hersteller so weit, das man auch Parameter der Umwelt wie Licht und Wetter frei einstellen, zusätzliches Licht setzen, oder die Figuren possieren lassen kann, sofern man sowas mag — die virtuelle Welt als Fotostudio. Man kann allerlei Arten von Fotografie-Genres im virtuellen Raum betreiben. Manchmal fühlt man sich auch wie ein Standfotografexternal link beim Film, mit der Erlaubnis während der Dreharbeiten zu fotografieren. Man hat hier auch mal die prominenten Stars vor der Kamera. Nachteil ist generell, das die Bewegungs- und Handlungsmuster der virtuellen Darsteller doch arg eingeschränkt sind. Besonders die der NPCs. Da bietet die Bühne der realen Welt doch einiges mehr.

Wer es ganz puristisch mag schnappt sich Blenderexternal link , Unreal Engineexternal link , Cryengineexternal link , Unityexternal link , oder ähnliche Tools, überwindet die Lernschwelle, und baut sich seine zu fotografierenden virtuellen Welten selber.

Besonders gut zum fotografieren eignen sich weiträumige open World Spieleexternal link , die eh schon zum freien Erkunden einladen, und von den Erstellern liebevoll mit allerlei Details ausgestattet werden. Eine Sonderstellung nehmen dabei generativ erzeugte Welten ein wie zum Beispeil No Mans Sky, weil sich dort – wie im richtigen Leben – vom „Zufall“ geschaffene, überraschende Perspektiven auftun. Der generative Aspekt findet sich mittlerweile aber in allen Spielen. Alle Spiele haben eines gemeinsam: Man muss sie spielen um zu seinen Fotos zu kommen. Das kann in mehrerlei Hinsicht anstrengend sein.

Spiele sind ihrer Natur nach sehr auf Dynamik ausgelegt, innehalten ist eher nicht das Ziel. Sie sind ausserdem in der Regel voller Action / Gewalt – gut, das ist bei Filmen ja oft nicht anders. Sie sind durchaus unterschiedlich schwer zu fotografieren, was unter anderen an verschiedensten Einschränkungen bzw. Freiheitsgraden liegt. So kann man zum Beispiel im Fotomodus unterschiedlich stark in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt sein, und die Ausstattung der Kamera schwankt von opulent bis minimalistisch. Virtuelles Fotografieren unterscheidet sich aber in vielerlei Hinsicht nicht vom traditionellen. Ich muss die unterschiedlichen Kameras beherrschen, mit ihren Stärken und Schwächen. Beispielsweise muss ich mich entscheiden, ob ich lieber das Zoom benutze, oder mir das Bild erlaufe. Es gelten die selben Gesetze der Bildgestaltung. Ich muss ein Motiv, eine Situation erkennen, kann dann aber für den Moment, in dem ich in der realen Welt auf den Auslöser drücke um den Moment ein zu fangen, die Zeit anhalten, mich frei wie eine Drohne im Raum bewegen, um das Bild final zu gestalten, oder gar ganz neue Zusammenhänge zu entdecken – hab also ganz andere Möglichkeiten meine Komposition hin bekommen, und dann erst auf den Auslöser zu drücken.

Arte – Der Fotograf ist im Game…

Manchmal gibt es auch keinen speziellen Fotomode, und man muss mit der Sicht des Spiels auskommen, kann sich also im besten Fall im stehen und hocken umschauen, vielleicht noch springen, muss aber die feste Brennweite der Spielersicht nutzen. Am Ende hat man einen Screenshot mit Benutzerinterface, der erst zur finalen Bildidee / Komposition – zum eigentlichen Werk – umgearbeitet werden muss.

Arte – Art of Gaming: In-Game Photography

Das Video oben beschreibt das ganz gut. Was ich ein wenig schade finde ist, das immer wieder die Frage nach dem „wo“ mehr in den Vordergrund gerückt wird, als die Bildaussage: Im Zentrum der Betrachtung steht neben der Bildgestaltung, das am Besten noch in der Realität verankerte – „wo“ – hier eine virtuelle Nachbildung von London. Interessant ist auch die Diskussion unter dem Videoexternal link .

Die rechtliche Situation

Ich bin kein Jurist, wage aber trotzdem die Behauptung: Die ist eindeutig. Alle Rechte liegen bei den Rechteinhabern. In der Praxis beklagt sich aber niemand, weil es auch eine tolle Form der Werbung ist, die positive Aufmerksamkeit erzeugt, die das eigene Werk neu interpretiert, und es so in einem neuem Kontext sichtbar macht. Die fotografierenden Spieler – oder spielenden Fotografen (by the way: Bitte immer männlich, weiblich, divers, oder anders zu verstehen) – sind ja quasi auch gleichzeitig die Kunden, und die vergrault man besser nicht. Es gibt sicher noch mehr Gründe warum die Rechteinhaber nicht gegen diesen eklatanten Missbrauch ihres geistigen Eigentums, mit der ganzen härte der Justiz vorgehen. Statt dessen bauen sie lieber Kameras in ihre Spiele ein, richten Fotowettbewerbe aus, vergeben Preise, und stellen die Werke der Preisträger in Galerien aus. Das erscheint mir die bessere Strategie damit um zu gehen – oder kurz gesagt: Ganz schön clever.

Fazit

Virtuelle Fotografie ist für die Spiele-Publisher primär ein Marketing Instrument und findet insofern nur innerhalb des eigenen Biotops statt, bzw. hat dort Relevanz. In der Gamer-Szene ist virtuelle Fotografie eine Selbstverständlichkeit. Wer spielt, der fotografiert in der Regel mittlerweile auch - oder filmt. Man dokumentiert seine Reisen oder nutzt das Medium künstlerisch. Es gibt eine sehr lebendige und tolle VP Szene auf Instagram und Twitter. In der Fotografie-Szene findet virtuelle Fotografie nicht statt - da sind alle Blicke derzeit auf KI gerichtet. Ob virtuelle Fotografie als ein übergreifendes eigenständiges künstlerisches Medium verstanden werden kann, versuche ich gerade herauszufindenexternal link .

Ich werde ich mir vor der Publikation des geplanten Buches auf jeden Fall auch eine Freigabe der Rechteinhaber holen, und jeder bekommt ein Belegexemplar. Hinten drin gibt es einen Index, der zu jedem Bild die Entwicklerschmiede und den Publisher aufführt. Das ist eigentlich selbstverständlich.

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