Vorbemerkung
Das Thema Virtual Photography, oder auch In-Game oder kurz Game Photography finde ich als Fotograf derzeit ziemlich spannend. Dazu gekommen bin ich im Zuge der Corona-Pandemie. Die Möglichkeit zum Beispiel einfach Screenshots von einem Bildschirm / Film zu machen existiert ja schon lange, aber mit dem fortschreiten der Zeit und der Technik ist ein eigenständiges Genre entstanden, das allerdings noch ein Nischendasein fristet, aus dem es langsam heraus kommt. Da drängt sich natürlich sofort die Frage auf ob das überhaupt Fotografie ist, und ob man das überhaupt darf, weil es sich ja bei einem Computerspiel quasi um das Kunstwerk eines anderen handelt. Unter anderem darüber möchte ich im Folgenden ein wenig reflektieren.
- Die Projektwebseite: carsten-nichte.de/binary-voids/
- Der Stream auf instagram.com/binary_voids/
Die Zukunft der Fotografie?
In der Produktfotografie ersetzt der virtuelle Raum schon jetzt häufig das Foto und Filmstudio. Durch VR Technik verschmelzen realer und virtueller Raum, in dem der eine in den anderen eingebunden wird. Immer leistungsfähigere Computer ermöglichen eine große Bandbreite von sehr realistisch aussehenden Darstellungen, bis hin zu sehr kreativen, phantastischen Auslegungen unserer Realität. Das beobachten wir täglich in Kino und Fernsehen — mehr in Filmen, als in den Werbepausen (denn niemand schaut Werbung — dabei feiert dieses Genre gerade dort, in der Produktfotografie (Bsp. Adobe), große Erfolge. Egal wie wir das bewerten: Der virtuelle Raum ist bereits allgegenwärtig, und er erobert sich immer neue Spielwiesen.
Computerspiele eröffnen ganz eigene virtuelle Räume, und sie waren — und sind — Technologietreiber. Im Gegensatz zu Filmen, die passiv konsumiert werden, ist man hier aktiv und gestaltet mit.
Traditioneller Film und Computerspiel werden zukünftig immer mehr zu einem interaktiven Erlebnis verschmelzen. Die Fotografie ist Teil dieses Wandels — Fotoapparate werden immer mehr zu Filmkameras, was ermöglicht mittels KI automatisch die besten Fotos aus dem Datenstrom zu extrahieren. Mit 3D-Vermessung und Raytracing werden ganze Räume erfasst, so das der fotografierte Raum nachträglich begangen werden kann, um zum Beispiel den Besten Standpunkt für eine Fotografie finden, um dann erst das Bild zu machen. Das ist recht fiktionale Zukunftsmusik — die Realität wird mit Sicherheit aber noch viel unglaublicher und phantastischer, als wir uns das heute ausmalen können. Die virtuelle Fotografie in Spielen liefert heute schon erste Ansatzpunkte wohin die Entwicklung auch für die traditionelle Fotografie gehen könnte.
Traditionell versus Virtuell
Computerspiele formen eine eigene (eigenwillige) Realität, die mit fotografischen Mitteln erforscht werden kann.
Fotografie unter anderem eine Kunst der Beobachtung. Es geht darum, etwas Interessantes an einem gewöhnlichen Ort zu finden … Fotografie hat wenig mit den Dingen zu tun, die wir sehen — und alles mit der Art, wie wir sie sehen …
Elliott Erwitt
… und das ist imho unabhängig davon ob der Ort — das was ich wahrnehme (oder enger gefasst: sehe) — real oder virtuell ist. Fotografie ging schon immer über die reine Abbildung hinaus. Sie hat neben dem dezent irrigen Anspruch die Wirklichkeit ab zu bilden, schon immer genau das Gegenteil getan: Neue Welten erschaffen, und Sichtweisen und Interpretationen geliefert. Es geht schlicht erstmal nur darum das visuell ab zu bilden, was das Interesse des Fotografierenden weckt. Wenn es gut läuft, hat er ein spannendes Foto, erzählt eine Geschichte, und löst Assoziationen im Betrachter aus. Wie er letztlich zu dem Foto kommt, sollte dabei nebensächlich sein. Ich sehe da keinen Unterschied zur traditionellen Fotografie, und auch keine neuen Konfliktfelder.
So groß unterscheiden sich die virtuellen Fotos also gar nicht von den Bildern aus der realen Welt, wo sich die Leute inszenieren, denn auch das hat meist nur wenig bis gar nix mit “der Realität” zu tun, auch wenn wir uns das vielleicht wünschen. In der virtuellen Fotografie stellt sich die Frage gar nicht, ob das inszeniert ist, oder real. Es ist vollkommen klar: Hier ist alles fake und inszeniert. Es ist ein einziges großes Schauspiel, ein Puppentheater. In so fern kann man sich entspannt zurück lehnen, und die Show unbeschwert genießen, oder?
Die Frage würde ich mit ja und nein beantworten. Virtuelle Fotografie steht zB. im Verdacht, nur die Reproduktion einer fremden Inszenierung zu sein. Eine Ursache für diese Bewertung könnte in der Erfahrung liegen. Der Spieler hat einen Bezug zur virtuellen Welt, der dem nicht Spieler fehlt — genauso wie Erfahrung (gern auch im doppeldeutigen Sinne): Er hat diese Welten nicht selbst bereist, und erlebt. Die reale Welt kennt — vereinfacht gesagt — jeder, und jeder kann aus dieser Erfahrung heraus für sich beurteilen, ob er eine Fotografie als gelungen betrachtet oder nicht. Außerdem lässt sich meiner Meinung nach dieser Verdacht auf die gesamte Fotografie ausweiten. Irgendwo ist alles vom Grundsatz her eine fremde Inszenierung, oder Teil einer fremden Inszenierung. Vom Individuum das ich portraitiere, über die Stadt, die ich als Fotograf ja auch nicht gebaut habe. Die Kunst in der Fotografie ist doch, alles — all das was uns umgibt — als Bühne für die eigene Inszenierung und Interpretation zu betrachten. Dazu gehört imho auch der virtuelle Raum.
Ich fotografiere im Sinne einer dokumentarischen “objektiven” Fotografie also nicht das Spiel, sondern ich Fotografie im Spiel — nutze also den dargebotenen virtuellen Raum um mein eigenes Ding zu machen.
Die Weltenbauer selbst fordern die Spieler mittlerweile regelrecht dazu auf ihre Welten zu erforschen, zu fotografieren und zu filmen, in dem sie entsprechende virtuelle Kameras ins Spiel einbauen. Das machen sie natürlich nicht ganz uneigennützig — sie haben schlicht festgestellt, das sich die Spieler dann länger im Spiel aufhalten Dabei gehen einige Hersteller so weit, das man auch Parameter der Umwelt wie Licht und Wetter frei einstellen, und die Figuren possieren lassen kann, sofern man sowas mag — die virtuelle Welt als Fotostudio. Man kann allerlei Arten von Fotografie-Genres im virtuellen Raum betreiben. Manchmal fühlt man sich auch wie ein Standfotograf beim Film, mit der Erlaubnis während der Dreharbeiten zu fotografieren. Wer es ganz puristisch mag schnappt sich Blender oder andere Tools, überwindet die Lernschwelle, und baut sich seine zu fotografierenden virtuellen Welten selber.
Besonders gut eignen sich weiträumige open World Spiele, die eh schon zum freien Erkunden einladen, und von den Erstellern liebevoll mit allerlei Details ausgestattet werden. Eine Sonderstellung nehmen dabei generativ erzeugte Welten ein wie zum Beispeil No Mans Sky, weil sich dort — wie im richtigen Leben — auch vom “Zufall” geschaffene, überraschende Perspektiven auftun. Alle Spiele haben aber eines gemeinsam: Man muss sie spielen um zu seinen Fotos zu kommen. Das kann in mehrerlei Hinsicht anstrengend sein.
Spiele sind ihrer Natur nach sehr auf Dynamik ausgelegt, innehalten ist eher nicht das Ziel. Sie sind ausserdem in der Regel voller Action / Gewalt — gut, das ist bei Filmen ja oft nicht anders. Sie sind durchaus unterschiedlich schwer zu fotografieren, was unter anderen an verschiedensten Einschränkungen bzw. Freiheitsgraden liegt. So kann man zum Beispiel im Fotomodus unterschiedlich stark in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt sein, und die Ausstattung der Kamera schwankt von opulent bis minimalistisch. Virtuelles Fotografieren unterscheidet sich aber in vielerlei Hinsicht nicht vom traditionellen. Ich muss die unterschiedlichen Kameras beherrschen, mit ihren Stärken und Schwächen. Beispielsweise muss ich mich entscheiden, ob ich lieber das Zoom benutze, oder mir das Bild erlaufe. Es gelten die selben Gesetze der Bildgestaltung. Ich muss ein Motiv, eine Situation erkennen, kann dann aber für den Moment, in dem ich in der realen Welt auf den Auslöser drücke um den Moment ein zu fangen, die Zeit anhalten, mich frei wie eine Drohne im Raum bewegen, um das Bild final zu gestalten, oder gar ganz neue Zusammenhänge zu entdecken — hab also ganz andere Möglichkeiten meine Komposition hin bekommen, und dann erst auf den Auslöser zu drücken.
Manchmal gibt es auch keinen speziellen Fotomode, und man muss mit der Sicht des Spiels auskommen, kann sich also im besten Fall im stehen und hocken umschauen, vielleicht noch springen, muss aber die feste Brennweite der Spielersicht nutzen. Am Ende hat man einen Screenshot mit Benutzerinterface, der erst zur finalen Bildidee / Komposition — zum eigentlichen Werk — umgearbeitet werden muss.
Das Video oben beschreibt das ganz gut. Was ich ein wenig schade finde ist, das immer wieder die Frage nach dem “wo” mehr in den Vordergrund gerückt wird, als die Bildaussage. Das ist auch im obigen Video so: Im Zentrum der Betrachtung steht neben der Bildgestaltung, das am Besten noch in der Realität verankerte — “wo” — hier eine virtuelle Nachbildung von London. Interessant ist auch die Diskussion unter dem Video.
Binary Voids — Das Projekt
Binary Voids ist mein Projekt zum Thema Virtuelle Fotografie. Ziel des Projektes ist es, Computerspiele zu feiern, und die virtuelle Räume mit den Mitteln der traditionellen Fotografie zu erforschen. Da das alles neu für mich ist, lass ich mich dabei treiben, und sehe mich ergebnisoffen um.

Aus dem was ich vorfinde und entdecke, versuche ich dann neue Inszenierungen zu entwicklen, verschränke die verschiedenen Welten, um so ein neues Narrativ zu schaffen. In einem ggfs. weiteren Schritt, werde ich sie mit der realen Welt verweben, oder überlagern. Das ist erstmal die grob skizzierte Idee. Besonders spannend sind für mich die Stellen, an denen die auf den ersten Blick perfekte, cleane, virtuelle Welt ihre Bruchstellen, und Risse hat, an der Materialität und Grenzen sichtbar werden. Jede der virtuellen Welten, bringt ihre eigenen Besonderheiten mit, die einen Rahmen vorgeben:
Die Spiele
- Control (Remedy Entertainment) — Hier beschränkt sich alles im wesentlichen auf das innere eines einzigen eher drögen Verwaltungsgebäudes, in der sich eine surreale Geschichte entfaltet. Man kann einiges an Einfluss nehmen, und die Welt „umgestalten“.
- Cyberpunk 2077 (CD Project Red) — Ermöglicht fast klassische Streetphotography in einer virtuellen Stadt der Zukunft.
- Death Stranding (Kojima Productions) — Als Paketbote bewegt man sich durch eine grandios, surreale, postapokalytische USA.
- Far Cry 6 (Ubisoft) — Ein fiktiver Ort mit kubanisch angehauchtem Flair, der natürlich voller Klischees steckt.
- Ghost of Tsushima — Directors Cut (Sucker Punch Productions) — Hier zieht man im Jahre 1274 als Samurai Krieger durch Japan. Ein kleines Meisterwerk in fast allen Belangen.
- Ghostwire Tokyo (Tango Gameworks) — Japan — ist eine Art Sehnsuchtsort für mich, den ich gern mal im realen Leben bereisen würde. Ghostwire Tokyo bietet mir die Möglichkeit Tokyo wenigstens mal virtuell zu erkunden.
- GTA 5 (Rockstar) — Da ist man als aufstrebender Gangster in der fiktiven Stadt Los Santos, unterwegs die an Los Angeles angelehnt ist.
- Hellblade (Ninja Theory) — Spielt sich im Kopf einer Frau mit paranoider Schizophrenie ab, symbolisiert und repräsentiert durch nordische Mythologie. Diese Arbeiten halte ich durchgehend in schwarz weiß, um so einen dokumentarischen Charakter als Kontrast zu erhalten.
- Mass Effect (Bioware) — Das ist einfach ein Science Fiction Klassiker. Deshalb gehört er in diese Liste
- No Mans Sky (Hello Games) — Ein ganzes Universum generativ erzeugter Welten, die erst entstehen, und sich manifestieren, wenn sie erstmalig entdeckt werden. Hier werden ausserdem die zahlreichen Mitspieler / Bewohner selber aktiv / kreativ und gestalten diese Welt mit. Das ist für mich fast wortwörtliche Reisefotografie.
- Prey (ArcaneStudios) — Spielt auf einer Raumstation mit fiesen Aliens.
- Watch Dogs (Ubisoft) — Die Handlung entfaltet sich in einem nicht all zu fern, in der Zukunft liegenden, dystopischen London.
- The Last of Us — Postapokalypse, Zombies — wer kennt es nicht — The Last of Us ist aber erzähltechnisch und visuell ganz großes Kino. Der Übergang zwischen Cutscenes und Spiel ist imho perfekt.
- The Witcher (CD Project Red) — Spielt in einem mittelalterlichen Setting. Damit kann ich normal wenig anfangen. Deswegen ist für mich besonders spannend was ich hier finde.
In diesem Spannungsfeld werde ich die Serie anlegen. Die Sicht in die Welten ist durch den Fernseher beschränkt, und durch das 16:9 Querformat geprägt. Dieses Schema — diese Sehgewohnheit — durchbreche ich, in dem ich die Bilder hochformatig komponiere, was auch mein bevorzugtes Format in der Streetphotography ist.
Weiterführende Links
- wikipedia.org/wiki/Virtual_photography
- Lichtfeldkamera
- https://www.arte.tv/en/videos/RC-014296/art-of-gaming/
Künstler
- Experimental Media-Art
- Iain Andrews — Steam Postcards
- Joshua Taylor, Shepard’s journey
- Leonardo Sang
- James Pollock — Skyrim383
- Josh Taylor — Portal 2
- James Pollock
- Duncan Harris -Dead End Thrills
- Leo Sang — Backseats in Games
- Alex Coley — GamerGram
- Isaac Schankler
- Matthew Dotson (autopilot)
- Dataerase (flickr)
- M. Earl Williams
- Eron Rauch
- Akaash Collet
- …
Gruppen / Streams
- instagram.com/virtualphotographygamers/
- instagram.com/societyofvirtualphotographers/
- instagram.com/virtualphotographygamers/
- instagram.com/gamergram_gg/
- instagram.com/zarn_gaming/
- instagram.com/picle.io/
- instagram.com/the_captured_collective/
- flickr.com/groups/videogametourism/pool/
- reddit.com/r/gamingphotography/
- …