Mein Kampfkunstlebenslauf

Zuletzt aktualisiert am 4. April 2024 8 Minuten

Technikerarbeit zur Prüfung auf den 1. Technikergrad, Leung Ting Wing Tsun. Carsten Nichte - Bergisch Gladbach, den 5. Oktober 2007.

Kampfsport betreibe ich seit 1981, seit 2000 trainiere ich Wing Tsun. Über die Jahre haben sich bis zum heutigen Tag folgende Graduierungen angesammelt, in Klammern die Jahre der praktischen Ausübung:

  • 1. Dan Goshin Jitsu (20 Jahre)
  • 12. SG Wing Tsun (7 Jahre)
  • 2. Kyu Judo (5 Jahre)
  • 3. Kyu Ju Jutsu (3 Jahre)
  • 5. SG Escrima (ca 3 Jahre)

Daneben habe ich vor ewigen Zeiten noch circa ein Jahr Kickboxen, und ein Jahr Tae Kwon Do „studiert“. Ich bin im Besitz einer Lizenz als Übungsleiter C für Breitensport beim Deutschen Sportbund, EWTO Übungsleiter für Wing Tsun, und Fachtrainer für Kids Wing Tsun (das Kinderkonzept der EWTO), und wieder einmal dabei eine Wing Tsun Kampfkunstschule zu eröffnen. Wing Tsun ist einfach geil, und MEIN Ding, und ich werde mich darin üben und weiterentwickeln, solange mein Körper und Geist es zulassen. Ich bin zwar in vielen Dingen die ich so tue nicht unbedingt der Beste. Aber ich tue eine ganze Menge, von Computerprogrammen und Internetseiten entwickeln, desingen und programmieren, Schreiben, Klavier und Saxophon spielen bis zu Familienmanager und Kampfkunst eben, bin ziemlich ausdauernd und hartnäckig bei all diesen Dingen, wie der permanente Wassertropfen auf dem Stein, und versuche immer schön locker, bescheiden und mit viel Spaß und Leidenschaft dabei zu sein. Ich möchte nicht „der Beste“ in einem Fachgebiet werden, ich möchte vielleicht der beste „Carsten Nichte“ werden, ganz im Sinne eines persönlichen, kontinuierlichen Verbesserungsprozesses. Von diesem Zustand bin ich aber noch meilenweit weg, und ehrlich gesagt ist das alles etwas ironisch gemeint, aber ein wahrer Kern steckt dennoch drin. So, das war es in aller Kürze zu mir und meiner Kampfkunstpassion, mehr gibt es eigentlich gar nicht zu sagen. Oder doch? Sind noch Fragen offen? Mir fällt sogar gerade eine ein: „Warum macht der Kerl 20 Jahre Ju Jutsu, und hat nur den ersten Dan erlangt?“. Warum macht er überhaupt über 25 Jahre ein und die selbe Sache? Das ist doch irgendwie altmodisch in unserer schnelllebigen Zeit, wo ein Kursangebot das andere jagt. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht, ich tue es halt einfach. Aber ich werde auf den folgenden Seiten mal darüber nachdenken.

Mein Weg zum Wing Tsun

Also, am besten fange ich in meiner Kindheit an, denn vermutlich liegt dort die Wurzel für meine Kampfkunst-Leidenschaft. Geboren wurde ich am 17.08.1963 und hatte bis in die 70er Jahre überhaupt nix mit Kampfkunst am Hut. Den ersten Kontakt mit Kampfkunst hatte ich wohl Anfang der 70er Jahre. Da gab es auf dem Marktplatz vor dem Kino „Bergischer Löwe“ einen Stand, an dem Kampfkunstposter und Kampfkunst Videos gezeigt wurden. Das war damals wohl etwas besonderes, denn die Zeit der Videorecorder für den Heimgebrauch begann gerade erst. Jedenfalls lief da etwas auf dem Bildschirm, was ich bis Dato noch nie gesehen hatte. Was der Typ, es war wohl Bruce Lee, da auf dem Schirm vollführte war für mich pure Zauberei. Es hinterließ zwar einen tiefen Eindruck bei mir, dieses Können schien mir aber unerreichbar wie von einem anderen Stern. So staunte ich, und mehr nicht. Auch das ich später die Fernsehserie „Kung Fu“ mit David Carradine verschlang löste in mir nichts weiter aus, aber im Unterbewusstsein war wohl ein Keim angelegt, und so vergingen die Jahre.

Ich war schon immer ein schlanker „Schlacks“, und zählte nicht zu den coolen Typen, hatte aber schon immer meine eigene Meinung, die nicht immer mit dem allgemeinen Trend vereinbar war. Man könnte sagen ich war ein Außenseiter, der auch schon mal gegen den Strom schwamm, auch wenn es nicht bequem war. Außerdem versuchte ich Prügleien aus dem Weg zu gehen, weil ich nicht gerade der Stärkste war. Leider gingen die Prügeleien nicht immer mir aus dem Weg, sodass ich des öfteren ordentlich einstecken musste. Hinter meiner großen Klappe steckte halt nicht genug Power, um sie auch mal mit körperlichen Mitteln durchzusetzen. Das blieb auch bis Anfang der 80er Jahre so. Im Jahr 1981 nahmen mich schließlich zwei Freunde, Andreas Moritz und Jürgen Adam, mit zum Judo Training in den Judo Club Kiän-Sü. So fing ich gegen den Willen meiner Eltern mit Judo an, und ein Jahr später mit Ju Jutsu. Ich trainierte damals bis zu 5 mal die Woche, und sog alle Techniken in mich auf.

Während meine Schulkumpels staunten, wenn James Bond eine Tomoe Nage, einen O Goshi, oder einen Hebel bei einem Schurken ansetzte, war ich jetzt – nicht ohne Stolz - ein „Wissender“. Ich lernte aber auch meine körperlichen Grenzen kennen. Zunächst verlor ich so gut wie alle Kämpfe, aber mit der Zeit wendete sich das Blatt. In den 80er Jahren trainiert ich sehr viel, besucht viele Lehrgänge und Turniere, unter anderem bei Alfred Hasemeier.

Meine wichtigsten Lehrer waren damals Herbert Aschmies, Heinz Metzen (Judo), Volker Blum (Ju Jutsu) und bis zuletzt Gerd Schimmels (Ju Jutsu). Bundesliga Kämpfer Gerd Hilden gehörte zwar nicht zu meinen direkten Trainern. Ihm verdanke ich aber über die Jahre viele inspirierende und besonders erhellende Momente im Judo. Besonders dankbar bin ich Alfred Geuer (7.Dan), der mich intensiv auf meine DAN Prüfung vorbereitete, und mir den nötigen Feinschliff gab.

Meine Art zu kämpfen war schon immer die eines Kontertechnikers. Im Judo ließ ich gerne meinen Gegner arbeiten, wiegte Ihn in Sicherheit, ließ mich ziehen, und schieben, und schlug dann zu, wenn er siegesgewiss seine Technik ansetzte. Das funktionierte zwar nicht immer, aber sehr oft – Wettkampfsport eben.

Mit den Jahren verlegte ich den Schwerpunkt immer mehr auf das Ju Jutsu, enthielt es doch Elemente des Judo, Karate und Aikido. Es erschien mir damals das Maß aller Dinge, konnte ich damit doch das Beste aus drei Kampfkünsten erlernen, und alltagstauglich in Anwendung bringen. Auch hier war die Basis meines Verhaltens die des Kontertechnikers. Die Kraft des Angreifers ins Leere laufen zu lassen war auch hier meine bevorzugte Taktik. Ich war halt auch im trainierten Zustand körperlich meist unterlegen (immer am untersten Ende meiner Gewichtsklasse), und setzte somit auf Schnelligkeit und Wendigkeit, und versucht die Kraft des Gegners auszunutzen. 

Irgendwann in den 90er Jahren setzte dann schleichend ein Erkenntnisprozess ein. Mit jedem Training, und mit jeder erzwungenen Erprobung in der Praxis, merkte ich das da etwas fehlt. Ich schätzte Situationen falsch ein, hatte immer wahnsinnige scheinbar unkontrollierbare, lähmende Angst. Die vielen Techniken und Kombinationen schienen mir mit den Jahren zu kompliziert in der Anwendung auf der Straße.

In dieser Zeit trainierte ich als Gast in vielen Vereinen, Dellbrück, Deutz, Porz, Refrath, trainierte eine Zeit lang Taekwon Do und Kickboxen, traf auf echte Boxer, und versuchte das zu finden was ich suchte. Ich fand es aber nicht wirklich. So machte ich mich daran das offizielle Ju Jutsu System für mich persönlich auf seine Straßenkampftauglichkeit zu überprüfen. Im Laufe der „Überprüfung“ fielen immer mehr Techniken/Kombinationen aus

diesem System heraus. Was übrig blieb war, quasi mein „eigenes“, auf mich zugeschnittenes SV System. Ich merkte, das das alleinige Wissen um das Notwehrrecht beim Stress auf der Straße wenig hilfreich war. Deshalb begann ich mich mit Begriffen wie Prävention, De Eskalation, und Nachbereitung ( juristisch / psychologisch / medizinisch), auseinander zusetzen um die „Randerscheinungen“ beim „Straßenkampf“ in den Griff zu bekommen – Dinge, die im normalen Vereinstraining nicht gelehrt wurden. Dazu besuchte ich spezielle Kurse die beim DSB, der Polizei, und der Volkshochschule angeboten wurden.

In dieser Zeit fiel es mir immer schwerer nach dem offiziellen Lehrplan zu unterrichten. Also konzipierte ich auf meinem Wissen basierend einen Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungskurs für Frauen und Kinder, die ich dann ein paar mal in eigener Regie anbot, und mit ziemlichem Erfolg durchführte. Darüber hinaus habe ich zuletzt die Ju-Jutsu Abteilung meines Vereins ein paar Jahre geleitet.

Nachdem ich knapp 20 Jahre lang Ju Jutsu gelernt, gelehrt, praktiziert und seziert hatte, kam irgendwann der Zeitpunkt am dem ich einsah etwas anderes machen zu müssen. Das „Andere“ fand sich aber nicht so leicht. Im Herbst 2000, ein Jahr nach dem ich den Entschluss gefasst hatte etwas anderes machen zu müssen las ich in der Zeitung, von einer Wing Tsun Vorführung auf dem Stadtfest. Ich hatte zunächst nur eine vage Vorstellung was das war – irgendwie Kung Fu halt. Ich war skeptisch, beschloss aber hinzugehen, falls ich es nicht vergessen würde, wie im Jahr zuvor. Der Samstag kam, und ich vergaß nicht hinzugehen. Die Vorführung war kurz, begeisterte mich aber. Danach hatte ich ein Gespräch, und ich verabredete mich zum Training, was mich dann restlos überzeugte.

Wing Tsun-Lehrgang in Gummersbach bei Sifu Georg Tsikolas mit Großmeister Keith R. Kernspecht, 2001

Im ersten Jahr trainierte ich WT bei meinem Sifu Georg Tsikolas und war parallel, in meinem alten Verein tätig, und gab zusätzlich SV Kurse. Im Jahr 2001 verließ ich meinen Verein endgültig, und konzentrierte mich voll auf Wing Tsun. Nach dem Motto keine Lebenszeit zu verschwenden trainierte ich nun fleißig was mir gezeigt wurde, und stellte nach einiger Zeit meine Erfahrung in den Dienst der Wing Tsun Schule. Ich verschlang das Buch „Vom Zweikampf“ an einem einzigen Abend, eine Phase die wie ich glaube jeder durchmacht der mit WT anfängt. Die Lektüre bestätigte mich in meiner Entscheidung mit dem WT angefangen zu haben. Im Frühjahr 2004 eröffnete ich mit meinem Sihing Horst Wehrhahn eine Schule für meinen Sifu, in der wir einen Kurs für Kinder anboten.

WT Erwachsenengruppe Bergisch Gladbach

Im Frühjahr 2005 wechselte ich in die WT Schule nach Overath, und führte bei Sifu Dirk Peffekoven meine Ausbildung fort. Um genau zu sein fing ich trotz meines 11ten Schülergrades, und meiner bereits vierzig Lenze wieder von vorne an zu lernen. So schloss sich der Kreis vom Schüler, zum lernenden Lehrer, wieder zum Schüler.