5. März 2016 Fotografie, Hinter den Kulissen Carsten Nichte11 Minuten
Ich hab in letzter Zeit eine Menge recherchiert um einen Einstieg in das Thema Großformat-Fotografie zu finden. Die Fragen liegen auf der Hand: Was brauche ich zum Großformat fotografieren? Wie gestaltet sich der Workflow? Was gibt es für Besonderheiten? Gibt es coole Tools die einem das Leben vereinfachen? Ich hab meinen - speziell auf die Graflex Speed Graphic zugeschnittenen - Workflow mittlerweile halbwegs zusammen und möchte ihn heute gerne mit dir teilen :-) Darüber hinaus schauen wir us gemeinsam einige Begriffe an, wie zB. Push und Pull, Verlängerungsfaktor, und Schwarzschild-Effekt.
Das benötigst du um los zu legen:
Die folgenden sollen auch prima sein, aber halt teuer:
Dazu kommen dann noch:
Wenn du wissen willst wie sich die Brennweite bei Großformat im Verhältnis zum Kleinbild (auch genannt Vollformat) verhält, dann blickst du am Besten auf den Formfaktor , oder benutzt diesen Rechner . Je nach dem ob du die Längsseite betrachtest (ca. 3.52) oder die Diagonale (ca. 3,75 ), oder das Seitenverhältnis kommst du auf unterschiedliche Werte. Bei der Umrechnung von Kleinbild auf 4x5 kannst du grob mit dem Faktor 3,6 rechnen. Damit ergibt sich für 150mm Großformat-Brennweite eine Kleinbild-Brennweite 41,6mm - also leicht weitwinklig, und für 175mm Brennweite 48,6 mm bei Kleinbild - also fast Normalbrennweite. (in der FC ist es ganz gut für Mittelformat erklärt)
Das industar ist ein preiswert Einstieg. Das Lensboard ist selbst gebaut.
Fremdobjektive können über Adapter leicht an der Graflex benutzt werden. Wichtig zu erwähnen ist noch das Ground Glass, weil es neben dem Objekt das zweite Element ist das zwischen dem Licht und dem Film liegt.
Wenn du die Filme selber entwickeln willst kommen noch ein paar Sachen dazu. Wenn du bereits analoges Kleinbild oder Mittelformat fotografierst kannst du dein vorhandenes Zeug hier auch verwenden: Entwicklerdose, Entwickler, Fixierer, Scanner, aber dazu gibts demnächst einen eigenen Artikel.
Die meisten Sachen kann man bequem auf eBay ersteigern. Der letzte Punkt ist nicht käuflich und auch noch unbezahlbar:
Der Workflow besteht im wesentlichen aus folgenden Schritten:
Im Folgenden schauen wir uns die Schritte mal genauer an…
Blende und Belichtungszeit einstellen. Foto: Andrea Schwelle.
Bei der Graflex Speed Graphic variiert der Workflow für das aufnehmen des Bildes. Es kommt es darauf an ob du - sofern vorhanden - den vorderen Zentralverschluss im Objektiv benutzt, oder den hinteren Tuchverschluss. Der Verschluss funktioniert rein mechanisch, durch das Aufspannen einer Feder mit Hilfe eines Drehhebels. Der Tuchverschluss muss je nach gewünschter Verschlusszeit mehrmals aufgezogen werden. Bei meiner Kamera stehen über einen zusätzlichen Wahlhebel (rechts unten - damit wird eine zuätzliche Schwungmasse an oder abgekoppelt) folgende Verschlusszeiten zur Verfügung:
Hebel vorne:
Hebel hinten:
Angegebene und reale Verschlusszeiten.
Statt 1/1000 Sekunde wird real 1/600 Sekunde erreicht. Das ist dem Alter der Feder geschuldet. Die langsamen Zeiten weichen ungefähr 10% vom Sollwert ab. Wer gerne bastelt kann die Zeiten auch exakt ermitteln. Wie das gehen kann erkläre ich in einem weiteren Artikel.
Um die Feder wieder vollständig zu entspannen muss der Auslöser mehrmals betätigt werden. Es kann also mehrmals ausgelöst werden ohne das die Feder neu aufgespannt werden muss. Die Verschlusszeit ändert sich allerdings bei jedem Auslösen. Zum Beispiel: 250 ->50 -> T -> O -> [ ]
Beim Öffnen und Schließen der Kamera ist einiges zu beachten. Das Öffnen ist noch relativ einfach: Am Gehäuse oben oder seitlich befindet sich ein verdeckter Knopf, der nur als Erhebung unter der Belederung fühlbar ist. Drückt man da drauf springt der Deckel auf und kann eingerastet werden. Danach kann der Feststellhebel gelöst und der Balgen bis zu den Sperren auf der Schiene herausgezogen werden. Wenn man die Sperren herunter klappt dann der Balgen auch darüber hinaus gezogen werden.
Vor dem Schließen der Kamera müssen größere Objektive entfernt werden. Der Schlitten muss über die Stellräder für den Fokus ganz zurück gedreht werden, und dann der Objektivbalgen mit Hilfe des gelösten Feststell-Hebel zurück in die Box geschoben werden, bevor der Deckel hoch geklappt wird. Es darf auf keinen Fall Gewalt angewendet werden, sonst verbiegen und verkanten sich die Schienen.
Du siehst, es ist komplex, aber in der Praxis dann doch mit ein wenig Übung einfacher als gedacht. Dennoch: Dabei kann so einiges schief gehen: Die Blende des vorderen Objektives ist geschlossen. Der Verschlussvorhang wird “aufgezogen” während der Film schon frei liegt, Unerwünschter Lichteinfall … etc.
Das Einlegen des Filmhalters ist ein besonders kritischer Moment. Steht das Stativ auf weichem, unebenem Boden (und das tut es oft), oder ist der Stativkopf nicht richtig fixiert, bewegt sich die Kamera und die Schärfenebene verschiebt sich.
Bei der Bestimmung der Belichtungszeit sind gegebenenfalls ein paar Dinge zu berücksichtigen:
…
Ich verwende unter anderem Projektorlinsen an der Graflex, die keine verstellbare Blende haben. Es gibt also nur Offenblende, und in Verbindung mit Belichtungszeiten von maximal 1/600 Sekunde ist das ist nicht für jede Lichtsituation hilfreich. Um bei zu viel Licht auf brauchbare Belichtungszeiten zu kommen kann ich zB. den eingelegten ISO 400 Film so belichten als ob er ISO 100 hätte - also weniger empfindlich ist und somit mehr Licht verträgt. Der Film wird also überbelichtetet. In der Entwicklung muss ich dann Pullen .
Das Gegenteil davon heisst Pushen . Um bei zu wenig Licht auf brauchbare Belichtungszeiten zu kommen kann ich zB. bei einem ISO 100 Film so belichten als ob er ISO 200 oder 400 hätte. So verwende ich kürzere Verschlusszeiten, was zu einem unterbelichteten Film führt.
Verweis auf meinen Artikel….
Die Lichtmenge nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab, so sagt es eine der Grundregeln der Fotografie. Was bei digitalen Kameras nicht beachtet werden muss, da es von der internen Belichtungsmessung automatisch korrigiert wird, wirkt sich in der Großformatfotografie deutlich auf die Belichtungszeit aus. Die Messung mit dem Handbelichtungsmesser berücksichtigt nämlich nicht den Weg des Lichtes durch den langen dunklen Blagen, was zu unterbelichteten Bildern führt wenn man die Messung nicht direkt am Groundglas durchführt, was aber knifflig ist. Der gemessene Wert muss also korrigiert werden.
Der Verlängerungsfaktor errechnet sich aus der Länge des Galgenauszuges zum Quadrat, geteilt durch die Brennweite zum Quadrat:
VF = (Auszug / Brennweite)^2
Ich hab das mal flott in einer Excel Tabelle für verschiedene Auszüge und Brennweiten zusammen getragen:
Verlängerungsfaktor
Belichtungkorrektur bei Kamera mit Balgen-Auszug für verschiedene Brennweiten.
Den errechneten Faktor kann man jetzt auf verschiedene Weise einsetzen.
Für Werte größer 1:
für Werte zwischen 0 und 1:
Beispiel: Brennweite = 150mm, Auszug = 165mm, Blende=2.5 , Gemessene Belichtungszeit = 1/500 Sekunde
VF = (165 / 150)^2 = 1,2
Die Belichtungszeit verlängert sich um: 500/1,21 = 413 -> 1/413 Sekunden.
In anderen Worten. Um zB. drei mal soviel Licht auf den Film zu lassen muss man also Belichtungszeit verdreifachen, die Blende um drei ganze Blendendstufen öffnen, oder drei mal Blitzen statt ein mal. Es schadet also nicht immer ein Maßband und Taschenrechner dabei haben, flott im Kopfrechnen zu sein, oder dieses Helferlein zu besitzen:
In der Praxis spielt die bewusste Berücksichtigung des Verlängerungsfaktors bisher keine große Rolle. Ich kann eh nur sehr ungenaue Verschlusszeiten einstellen: 1/100 , 1/200, 1/300, 1/600…
Bei einer gemessenen Zeit von 1/500 Sekunde bleibt mir die Wahl zwischen 1/600 und 1/300… Ich entscheide mich für die langsamere Zeit, und habe somit automatisch eine gewisse Berücksichtigung des Faktor erreicht ohne mir Gedanken darüber machen zu müssen.
Bei sehr langen Verschlusszeiten - ab ca. 1 Sekunde - nimmt die Lichtempfindlichkeit der Filmschicht ab und man muss Belichtungszeit addieren, um auf eine korrekte Belichtung zu kommen. Interessant ist dieses Phänomen auch für Doppel- bzw. Mehrfachbelichtungen.
Das muss natürlich wieder im absolut dunkeln passieren. Willst du die Filme nicht selbst entwickeln dann solltest du die Schachtel aufheben und die Filme wieder lichtdicht darin verpacken um sie ins Labor zu schicken. Entwickelst du selbst dann wandert der Planfilm in die Entwicklerdose…
Entweder du gibst den Film ins Labor, oder du entwickelst selber.
Für Schwarzweiss-Film kannst du durchaus dein Mittelformat-Equipment nutzen. Ich mache das momentan mit der Taco-Metode in der AP-Entwicklerdose groß , im Paterson-Tank für 4x5 (Super System 4, Multi-Reel 3), oder demnächst vielleicht mit dem SP-445: compact 4x5 film processing system . Farbfilm geht ins Labor, wobei die Schwierigkeit besteht derzeit ein Labor zu finden das Planfilme entwickelt…
Ganz spannend ist es von den Negativen Handabzüge auf Papier anzufertigen. Das ist ein ganz eigenes Thema dem ich mich später widme. Der dazu nötige Vergrößerer - quasi ein Erbstück - steht schon im Keller. Vorerst digitalisiere ich die Negative.
Der Scanner sollte für Großformat-Negative geeignet sein - als eine entsprechend große Lichtquelle haben. Beim digitalisieren der Negative achte ich darauf das die matte Seite des Negativs in Richtung des Sensors liegt - also nach unten. Mein geliehener Scanner (Epson Perfektion V550) kann maximal Mittelformat. Deshalb darf ich jedes Negativ in zwei bis drei Teilen scannen und danach in Affinity Photo zusammen setzen. Das ist mühselig, da die Scans immer unterschiedlich sind und die Teile bei der Montage über eine oder mehrere Gradationskurven angepasst werden müssen. Das sind die ersten Testaufnahmen, die ich mit Unterstützung von Andrea angefertigt habe: