Fotografieren im Grossformat

5. März 2016 in Fotografie, Hinter den Kulissen by Carsten Nichte11 Minuten

Fotografieren im Grossformat

Ich hab in letzter Zeit eine Menge recherchiert um einen Einstieg in das Thema Großformat-Fotografie zu finden. Die Fragen liegen auf der Hand: Was brauche ich zum Großformat fotografieren? Wie gestaltet sich der Workflow? Was gibt es für Besonderheiten? Gibt es coole Tools die einem das Leben vereinfachen? Ich hab meinen - speziell auf die Graflex Speed Graphic zugeschnittenen - Workflow mittlerweile halbwegs zusammen und möchte ihn heute gerne mit dir teilen :-) Darüber hinaus schauen wir us gemeinsam einige Begriffe an, wie  zB. Push und Pull, Verlängerungsfaktor, und Schwarzschild-Effekt.

Was braucht man zum fotografieren im Großformat?

Das benötigst du um los zu legen:

  1. Natürlich eine Großformat-Kameraexternal link , in meinem Fall eine Graflex Speed Graphicexternal link aus den 50er Jahren. Es gibt bessere, aber diese gibt es für relativ kleines Geld. Allerdings sollte man nochmal ein paar 100 Euro für Service bereithalten.
  2. passende Objektive - wichtig ist das der Bildkreisexternal link abgedeckt wird:
    • Leitz Hektor 150mm oder 175mm oder 200mm  f2.5
    • Industar 51 210mm f4.5
    • Petzval …

Die folgenden sollen auch prima sein, aber halt teuer:

  • Kodak Aero Ektar 178mm f/2.5 (Sehr geil, strahlt radioaktiv, und ist unverschämt teuer geworden)
  • Schneider 150mm f/2.8 Xenotar
  • Dallmeyer 8" f/2.9 Pentac

Dazu kommen dann noch:

  1. mehrere Planfilm-Kassettenexternal link , ein Grafmatic Film Back, oder das Polaroid Backexternal link .
  2. Planfilm 4x5external link , oder Polaroid Instand Sheet Film (zB. New55 Filmexternal link ).
  3. Dunkelkammer (Wechselsack, oder Zelt)
  4. Belichtungsmesser
  5. Stativ
  6. Lupe zum Scharfstellen am Groundglas
  7. Drahtauslöserexternal link - optional
  8. Ruhe, Zeit, Muße…

Wenn du wissen willst wie sich die Brennweite bei Großformat im Verhältnis zum Kleinbild (auch genannt Vollformat) verhält, dann blickst du am Besten auf den Formfaktorexternal link , oder benutzt diesen Rechnerexternal link . Je nach dem ob du die Längsseite betrachtest (ca. 3.52)  oder die Diagonale (ca. 3,75 ), oder das Seitenverhältnis kommst du auf unterschiedliche Werte. Bei der Umrechnung von Kleinbild auf 4x5 kannst du grob mit dem Faktor 3,6 rechnen. Damit ergibt sich für  150mm Großformat-Brennweite eine Kleinbild-Brennweite 41,6mm - also leicht weitwinklig, und für 175mm Brennweite 48,6 mm bei Kleinbild - also fast Normalbrennweite. (in der FCexternal link ist es ganz gut für Mittelformat erklärt)

Das industar ist ein preiswert Einstieg. Das Lensboard ist selbst gebaut.

Fremdobjektive können über Adapter leicht an der Graflex benutzt werden. Wichtig zu erwähnen ist noch das Ground Glass, weil es neben dem Objekt das zweite Element ist das zwischen dem Licht und dem Film liegt.

Wenn du die Filme selber entwickeln willst kommen noch ein paar Sachen dazu. Wenn du bereits analoges Kleinbild oder Mittelformat fotografierst kannst du dein vorhandenes Zeug hier auch verwenden: Entwicklerdose, Entwickler, Fixierer, Scanner, aber dazu gibts demnächst einen eigenen Artikel.

Die meisten Sachen kann man bequem auf eBay ersteigern. Der letzte Punkt ist nicht käuflich und auch noch unbezahlbar:

Der Großformat Workflow

Der Workflow besteht im wesentlichen aus folgenden Schritten:

  1. Vorbereiten und Laden der Planfilmhalter
  2. Aufnehmen von Fotos
  3. Entladen der Planfilmhalter
  4. Planfilm entwickeln

Im Folgenden schauen wir uns die Schritte mal genauer an…

1. Filme in Planfilm-Kassetten laden

  1. Filmkassette und Abdeckung gründlich reinigen (Staub) mit Antistatik-Pinsel, oder auch nem kleinen Staubsauger?
  2. Abdeckung halb in den Filmhalter stecken - schwarze Markierung nach aussen.
  3. Dunkelkammer vorbereiten/aufbauen (Zelt, Sack, oder Raum)
  4. Sachen in der Dunkelkammer bereitlegen: Lichtdicht verpackter Film, vorbereitete Filmhalter.
  5. DUNKELHEIT herstellen
  6. Planfilm Schachtel öffnen.
  7. Filmsheet in rechte Hand nehmen. Am Rand anpacken. Rechts oben muss sich eine geriffelte Markierung befinden, dann schaut man auf die Seite mit der Emulsion.
  8. Film in den Filmhalter schieben, mit der Emulsion nach oben.
  9. Abdeckung des Planfilmhalters schließen. Riegel davor legen.
  10. Weiter bei 7, bis alle Filmkassetten gefüllt sind.
  11. Planfilm Schachtel lichtdicht schließen.
  12. LICHT machen
  13. Die Filmhalter in Beutel stecken und für die Session reisefertig verpacken.

Blende und Belichtungszeit einstellen. Foto: Andrea Schwelle.

2. Foto auf Planfilm aufnehmen

Bei der Graflex Speed Graphic variiert der Workflow für das aufnehmen des Bildes. Es kommt es darauf an ob du - sofern vorhanden - den vorderen Zentralverschluss im Objektiv benutzt, oder den hinteren Tuchverschluss. Der Verschluss funktioniert rein mechanisch, durch das Aufspannen einer Feder mit Hilfe eines Drehhebels. Der Tuchverschluss muss je nach gewünschter Verschlusszeit mehrmals aufgezogen werden. Bei meiner Kamera stehen über einen zusätzlichen Wahlhebel (rechts unten - damit wird eine zuätzliche Schwungmasse an oder abgekoppelt) folgende Verschlusszeiten zur Verfügung:

Hebel vorne:

  • [ ] - Tuchverschluss geschlossen
  • O - Tuchverschluss offen (1x gedreht)
  • T - (2x gedreht)
  • 50 real 40 -  (3x gedreht)
  • 250 - real 200 -  (4x gedreht)
  • 1000 - real 600  (5x gedreht)

Hebel hinten:

  • [ ] - Tuchverschluss geschlossen
  • O - Tuchverschluss offen (1x gedreht)
  • T - (2x gedreht)
  • 30  real 24 - (3x gedreht)
  • 125 - real 100 (4x gedreht)
  • 500 - real 300 - (5x gedreht)

Angegebene und reale Verschlusszeiten.

Statt 1/1000 Sekunde wird real 1/600 Sekunde erreicht. Das ist dem Alter der Feder geschuldet. Die langsamen Zeiten weichen ungefähr 10% vom Sollwert ab. Wer gerne bastelt kann die Zeiten auch exakt ermitteln. Wie das gehen kann erkläre ich in einem weiteren Artikel.

Um die Feder wieder vollständig zu entspannen muss der Auslöser mehrmals betätigt werden. Es kann also mehrmals ausgelöst werden ohne das die Feder neu aufgespannt werden muss. Die Verschlusszeit ändert sich allerdings bei jedem Auslösen. Zum Beispiel:  250 ->50 -> T -> O -> [ ]

Beim Öffnen und Schließen der Kamera ist einiges zu beachten. Das Öffnen ist noch relativ einfach: Am Gehäuse oben oder seitlich befindet sich ein verdeckter Knopf, der nur als Erhebung unter der Belederung fühlbar ist. Drückt man da drauf springt der Deckel auf und kann eingerastet werden. Danach kann der Feststellhebel gelöst und der Balgen bis zu den Sperren auf der Schiene herausgezogen werden. Wenn man die Sperren herunter klappt dann der Balgen auch darüber hinaus gezogen werden.

Vor dem Schließen der Kamera müssen größere Objektive  entfernt werden. Der Schlitten muss über die Stellräder für den Fokus ganz zurück gedreht werden, und dann der Objektivbalgen mit Hilfe des gelösten  Feststell-Hebel zurück in die Box geschoben werden, bevor der Deckel hoch geklappt wird. Es darf auf keinen Fall Gewalt angewendet werden, sonst verbiegen und verkanten sich die Schienen.

2.1 Workflow mit hinterem Tuchverschluss und Objektiv ohne Auslöser

  1. Kamera aufbauen an der entdeckten Location. Das Stativ muss sicher stehen.
  2. Kamera öffnen, und Objektiv anbringen.
  3. Belichtung messen, und Belichtungszeit / Blende bestimmen.
  4. Vordere Blende ganz öffnen (falls vorhanden) oder Abdeckung vom Objektiv nehmen
  5. Hinteren Verschluss öffnen (O) - 1 x gedreht.
  6. Motiv im Suchermattscheibe komponieren.
  7. Über das Groundglass  scharf stellen. Ggfs mit Lupe prüfen.
  8. Optional: Falls es eine vordere Blende gibt: Aus Sicherheitsgründen wieder schließen.
  9. Hinterer Tuchverschluss Zeit einstellen (Verschlussvorhang aufziehen!! Die Blende ist dann geschlossen. Das muss auf jeden Fall vor Schritt 11 erfolgen, da es mehrere Blendenschlitze gibt und der Film sonst schon belichtet würde, wenn die vordere Blende geöffnet ist).
  10. Einen geladenen Filmhalter einlegen. Die Kamera/Stativ darf sich dabei nicht bewegen sonst ist der Schärfenpunkt verstellt. Schwarze Markierung vorne - Bedeutet nicht belichteter Film.
  11. Arbeitsblende einstellen! ?
  12. Ziehen der Abdeckung aus dem Filmhalter. Filmhalter dabei mit dem Daumen leicht  in Richtung Kameragehäuse drücken um Lichteinfall zu vermeiden. Der Film ist nun bereit zum belichten!
  13. Entweder Vordere Zentralverschluss / Blende öffnen - falls vorhanden!…
  14. oder den seitlichen Auslöser betätigen um den Film zu belichten.
  15. Abdeckung auf den Filmhalter aufstecken (weiße Seite nach vorne).
  16. Filmhalter herausziehen, und entweder die andere Seite belichten oder den Halter wegpacken.
  17. weiter bei 3/4, oder bei 9. :-)
  18. Kamera schließen
  19. Kamera abbauen, und den nächsten Spot suchen. Weiter bei 1…

Du siehst, es ist komplex, aber in der Praxis dann doch mit ein wenig Übung einfacher als gedacht. Dennoch: Dabei kann so einiges schief gehen: Die Blende des vorderen Objektives ist geschlossen. Der Verschlussvorhang wird “aufgezogen” während der Film schon frei liegt,  Unerwünschter Lichteinfall  … etc.

Das Einlegen des Filmhalters ist ein besonders kritischer Moment. Steht das Stativ auf weichem, unebenem Boden (und das tut es oft), oder ist der Stativkopf nicht richtig fixiert, bewegt sich die Kamera und die Schärfenebene verschiebt sich.

Bei der Bestimmung der Belichtungszeit sind gegebenenfalls ein paar Dinge zu berücksichtigen:

2.2 Push und Pull

Ich verwende unter anderem Projektorlinsen an der Graflex, die keine verstellbare Blende haben. Es gibt also nur Offenblende, und in Verbindung mit Belichtungszeiten von maximal 1/600 Sekunde ist das ist nicht für jede Lichtsituation hilfreich. Um bei zu viel Licht auf brauchbare Belichtungszeiten zu kommen kann ich zB. den eingelegten ISO 400 Film so belichten als ob er ISO 100 hätte - also weniger empfindlich ist und somit mehr Licht verträgt. Der Film wird also überbelichtetet. In der Entwicklung muss ich dann Pullenexternal link .

Das Gegenteil davon heisst Pushenexternal link . Um bei zu wenig Licht auf brauchbare Belichtungszeiten zu kommen kann ich zB. bei einem ISO 100 Film so belichten als ob er ISO 200 oder 400 hätte. So verwende ich kürzere Verschlusszeiten, was zu einem unterbelichteten Film führt.

Verweis auf meinen Artikel….

2.3 Der Verlängerungsfaktor

Die Lichtmenge nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab, so sagt es eine der Grundregeln der Fotografie. Was bei digitalen Kameras nicht beachtet werden muss, da es von der internen Belichtungsmessung automatisch korrigiert wird, wirkt sich in der Großformatfotografie deutlich auf die Belichtungszeit aus. Die Messung mit dem Handbelichtungsmesser berücksichtigt nämlich nicht den Weg des Lichtes durch den langen dunklen Blagen, was zu unterbelichteten Bildern führt wenn man die Messung nicht direkt am Groundglas durchführt, was aber knifflig ist. Der gemessene Wert muss also korrigiert werden.

Der Verlängerungsfaktor errechnet sich aus der Länge des Galgenauszuges zum Quadrat, geteilt durch die Brennweite zum Quadrat:

VF = (Auszug / Brennweite)^2

Ich hab das mal flott in einer Excel Tabelle für verschiedene Auszüge und Brennweiten zusammen getragen:

Verlängerungsfaktor

Belichtungkorrektur bei Kamera mit Balgen-Auszug für verschiedene Brennweiten.

Den errechneten Faktor kann man jetzt auf verschiedene Weise einsetzen.

Für Werte größer 1:

  1. Zeit verlängern.
  2. Blende öffnen.
  3. Mehrfach Blitzen.

für Werte zwischen 0 und 1:

  1. Zeit verkürzen.
  2. Blende schließen.
  3. Blitzen dimmen.

Beispiel: Brennweite = 150mm, Auszug = 165mm, Blende=2.5 , Gemessene Belichtungszeit = 1/500 Sekunde

VF = (165 / 150)^2 = 1,2

Die Belichtungszeit verlängert sich um:  500/1,21 = 413 -> 1/413 Sekunden.

In anderen Worten. Um zB. drei mal soviel Licht auf den Film zu lassen muss man also Belichtungszeit verdreifachen, die Blende um drei ganze Blendendstufen öffnen, oder drei mal Blitzen statt ein mal. Es schadet also nicht immer  ein Maßband und Taschenrechner dabei haben, flott im Kopfrechnen zu sein, oder dieses Helferlein zu besitzen:

In der Praxis spielt die bewusste Berücksichtigung  des Verlängerungsfaktors bisher keine große Rolle. Ich kann eh nur sehr ungenaue Verschlusszeiten einstellen: 1/100 , 1/200, 1/300, 1/600…

Bei einer gemessenen Zeit von 1/500 Sekunde bleibt mir die Wahl zwischen 1/600 und 1/300… Ich entscheide mich für die langsamere Zeit, und habe somit automatisch eine gewisse Berücksichtigung des Faktor erreicht ohne mir Gedanken darüber machen zu müssen.

2.3 Der Schwarzschild-Effekt

Bei sehr langen Verschlusszeiten - ab ca. 1 Sekunde - nimmt die Lichtempfindlichkeit der Filmschicht ab und man muss Belichtungszeit addieren, um auf eine korrekte Belichtung zu kommen. Interessant ist dieses Phänomen auch für Doppel- bzw. Mehrfachbelichtungen.

3. Filmkassetten entladen

Das muss natürlich wieder im absolut dunkeln passieren. Willst du die Filme nicht selbst entwickeln dann solltest du die Schachtel aufheben und die Filme wieder lichtdicht darin verpacken um sie ins Labor zu schicken. Entwickelst du selbst dann wandert der Planfilm in die Entwicklerdose…

  1. Dunkelkammer aufbauen
  2. Dunkelkammer befüllen: Entwicklerdose / Planfilm-Schachtel, Filmkassetten, Gummibänder.
  3. DUNKELHEIT HERSTELLEN
  4. ….

4. Planfilm entwickeln

Entweder du gibst den Film ins Labor, oder du entwickelst selber.

  • In der Entwicklerdose - kippend oder rollend.
  • In Schalen (Stand-Entwicklung)

Für Schwarzweiss-Film kannst du durchaus dein Mittelformat-Equipment nutzen. Ich mache das momentan mit der Taco-Metode in der AP-Entwicklerdose großexternal link ,  im Paterson-Tank für 4x5external link (Super System 4, Multi-Reel 3), oder demnächst vielleicht mit dem SP-445: compact 4x5 film processing systemexternal link .  Farbfilm geht ins Labor, wobei die Schwierigkeit besteht derzeit ein Labor zu finden das Planfilme entwickelt…

Ganz spannend ist es von den Negativen Handabzüge auf Papier anzufertigen. Das ist ein ganz eigenes Thema dem ich mich später widme. Der dazu nötige Vergrößerer - quasi ein Erbstück - steht schon im  Keller. Vorerst digitalisiere ich die Negative.

5. Negative scannen

Der Scanner sollte für Großformat-Negative geeignet sein - als eine entsprechend große Lichtquelle haben. Beim digitalisieren der Negative achte ich darauf das die matte Seite des Negativs in Richtung des Sensors liegt - also nach unten. Mein geliehener Scanner (Epson Perfektion V550) kann maximal Mittelformat. Deshalb darf ich jedes Negativ in zwei bis drei Teilen scannen und danach in Affinity Photo zusammen setzen. Das ist mühselig, da die Scans immer  unterschiedlich sind und die Teile bei der Montage über eine oder mehrere Gradationskurven angepasst werden müssen. Das sind die ersten Testaufnahmen, die ich mit Unterstützung von Andrea angefertigt habe:

Tools

  • Massive Devchart
  • Holders
  • Shutter Speed
  • Photo Buddy
  • Sun Surveyor
  • The Photographers Eph…